Euro 6: Die Norm kommt – Zehn drängende Fragen zu AdBlue & Co.

Bild: Daimler
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Johannes Reichel

Die neue Abgasnorm kommt, für leichte Nutzfahrzeuge spätestens zum September 2016. Was man über den zusätzlichen Betriebsstoff AdBlue wissen sollte und im Betrieb beachten muss, hat TransporterTrends die Abgas­reinigungsexperten von Daimler gefragt.
1. Höhere Kosten, schwieriges Hand­ling, ein weiterer Betriebsstoff: Warum sollte ein Kunde jetzt schon auf Euro 6 setzen?
Kurz zur Einordnung: Die SCR-Technologie (Selective Catalytic Reduction), mit der wir vonseiten Daimler die neue Emissionsstufe technologisch umsetzen, kommt mit Euro 6 Gr. I gesetzlich ab 09/2015 für Pkw-zugelassene Fahrzeuge (M1) und ab 09/2016 für nutzfahrzeug­zugelassene Fahrzeuge (N1/N2) zum Einsatz und löst zum jeweiligen Zeitpunkt die Abgasnorm Euro 5b+ Gr. III ab.
Euro VI ist bereits seit 1.1.2014 gesetzlich gefordert, somit müssen Sprinter mit Zertifizierung über Motorprüfstand bereits heute mit SCR ausgerüstet und mit AdBlue betrieben werden.
Es gibt Kunden, die aus Umweltaspekten immer die neueste Abgastechnik haben möchten und bereits vor dem Einsatz der gesetzlichen Bestimmung auf die bestmögliche Technologie setzen. Dies kann sich auch positiv auf den Wiederverkauf auswirken.
2. Ursprünglich sollte mit SCR-Kat und AdBlue der Verbrauch steigen. Nun sieht es nach den ersten Tests mit dem Sprinter so aus, dass der Verbrauch sogar gesunken ist, Ähnliches ist für den Vito Bluetec zu erwarten. Wie haben Ihre Ingenieure das hinbekommen?
Beim Sprinter mit Motorprüfstand-Zertifizierung Euro VI ist der Verbrauch gegenüber dem Euro-V-Typ leicht gesunken. Sprinter und der Vito sind jedoch nicht vergleichbar, da unterschiedliche Messverfahren zur Anwendung kommen müssen. So wird Euro 6 auf dem Rollenprüfstand zertifiziert. Beim Vito sind die Verbräuche mit Euro 6 leicht gestiegen.
Das Bluetec-System ermöglichte uns, neben der Absenkung des Emissionsniveaus auf die Euro-6- bzw. Euro-VI-Anfor­derungen, auch die Motoren auf ihr Kraftstoffverbrauchsoptimum unter den neuen Emissionsgrenzen einzustellen.
3. Ist die komplexe Abgasreinigungstechnik nicht anfällig – speziell im Winter?
Bevor wir bei Mercedes-Benz Vans neue Technologien in unsere Fahrzeuge an den Kunden geben, werden diese auf alle Kunden-Einsatzbereiche ausführlich hinsichtlich ihrer Funktion überprüft und auch in Dauerlauftests auf Dauerhaltbarkeit abgesichert. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf der Absicherung von extremen Umweltbedingungen (Höhe, Hitze, Kälte) in verschiedenen Kundenfahrprofilen (Niedrig­lastbetrieb, Verteilerverkehr, Hochlastbetrieb, Autobahn-Dauerbetrieb). Das Bluetec-System hat alle diese Tests bestanden und war auch im Winterbetrieb, wie von uns erwartet, unauffällig. Hinzu kommt die große Erfahrung von Mercedes-Benz mit SCR-Technik und Bluetec-Technologie: Seit fünf Jahren sind bisher mehrere 10.000 Sprinter mit dieser Technik nach Nordamerika geliefert worden. Die Bluetec-Motorentechnologie hat sich außerdem seit zehn Jahren in den Lkw und Omnibussen mit Stern über Milliarden von Kilometern bestens bewährt.
4. Was kommt auf die Servicebetriebe und Werkstätten an ­Zusatzarbeiten zu?
Das Bluetec-System ist wie alle anderen Bauteile des Antriebsstrangs auf eine sehr hohe Lebensdauer in allen typischen Transporter-Einsatzfällen ausgelegt. Bisherige Felderfahrungen zeigen auch keine erhöhten Auffälligkeiten gegenüber anderen Bauteilen. Es ist somit nicht mit zusätzlichem Arbeits- oder Wartungsaufwand für die Werkstätten zu rechnen. Was zusätzlich auf Werkstätten zukommen kann, ist das Auffüllen des AdBlue-Vorrats, im Idealfall im Rahmen der Inspektion.
5. Was passiert eigentlich, wenn der AdBlue-Vorrat aufgebraucht ist und gerade kein Ersatzstoff in der Nähe?
Wir wollen nicht, dass der Kunde in diese Situation kommt. Deshalb wird er im Vorfeld mehrmals über verschiedene Warnstufen in der Kombianzeige darauf aufmerksam gemacht, dass AdBlue nachgefüllt werden muss. Dazu haben wir uns auf folgende Warnstrategie festgelegt:
Bei Euro 6 wird der Kunde erstmals 1.600 km vor Fahrzeugstilllegung darauf aufmerksam gemacht, AdBlue nachzufüllen. Dies wird ihm bei jedem Neustart erneut angezeigt. Bei einer Restlaufstrecke von 800 km erscheint diese Aufforderung zusätzlich nochmal alle 100 km zurückgelegter Strecke.
Ignoriert der Kunde auch diese zweite Warnmeldung bis Ablauf der 800 km Restlaufstrecke, bieten wir im Vergleich zu anderen Herstellern eine zusätzliche Rest­laufstrecke von 50 km mit einer maximalen Geschwindigkeit von 20 km/h, um sich aus der Gefahrensituation zu begeben, bevor das Fahrzeug dann tatsächlich stillgelegt wird. Dies ist nötig, um Missbrauch durch den Kunden zu verhindern, da mit Aufbrauchen des AdBlue-Vorrats das Fahrzeug nicht mehr den Euro-6-Emissionsanforderungen gerecht wird.
Bei Euro VI gilt analog Truck das Nutzfahrzeug-Warnszenario, das heißt: In Summe wird der Kunde erstmals circa 1.600km vor Fahrzeugstilllegung darauf aufmerksam gemacht, AdBlue nachzufüllen. Dies wird ihm bei jedem Neustart erneut angezeigt. Bei einer Restlaufstrecke von etwa 600 km tritt eine Motormomentenreduzierung auf 75 Prozent des maximalen Motormoments in Kraft und der Kunde wird entsprechend informiert sowie weiterhin aufgefordert AdBlue nachzufüllen. Ignoriert der Kunde auch diese zweite Warnmeldung bis Ablauf der circa 600 km Restlaufstrecke, tritt beim nächsten Neustart ein Notlauf mit einer maximalen Geschwindigkeit von 20 km/h in Kraft, um sich aus der Gefahrensituation zu begeben. Die Dauer/Wegstrecke des Notlaufbetriebs ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben nicht an eine Restlaufstrecke gebunden und das Fahrzeug entsprechend auch nicht komplett stillgelegt, allerdings ist der Betrieb mit einer maximalen Geschwindigkeit von 20 km/h deutlichst eingeschränkt. Wir können heute sagen, dass uns aus dem Feld keine Fälle bekannt sind, wo Kunden mit leerem AdBlue-Tank liegen geblieben wären.
6. Aus dem Pkw-Bereich hört man, dass Euro-6-Fahrzeuge im realen Einsatz die Emissionsanforderungen nicht einhalten und nicht besser liegen als Euro-5-Modelle, was auch der ADAC und das UBA bemängeln. Können Sie das für den Nutzfahrzeugbereich bei Mercedes ausschließen?
Die EU-Gesetzgebung zu Emissionen schreibt einen Fahrzyklus und die Randbedingungen dazu vor. Außerhalb des NEFZ-Zyklus werden alle weiteren gesetzlichen Vorgaben durch Mercedes-Benz Vans eingehalten und gleichzeitig die Anforderungen unserer Kunden zum Beispiel hinsichtlich Verbrauch, Wartungsintervallen oder Geräuschentwicklung berücksichtigt. Ein realer Einsatz eines Transporters ist aber so vielfältig wie seine Fahrerinnen oder Fahrer. Zusätzlich ist festzuhalten, dass für Euro VI – also Motorprüfstand-Zertifi­zierung – Vorschriften erlassen wurden, die sehr niedrige Emissionen auch im Realbetrieb zur Folge haben. Nicht nur der Zyklus wurde hier verändert, sondern auch das gesamte Prüfverfahren hat realitätsnahe Anforderungen erhalten, die seit Anfang 2014 einzuhalten sind.

7. Künftig muss der Kunde zweimal tanken: Diesel und AdBlue. Warum ließ sich das Nachtanken nicht ins Serviceintervall integrieren?
Beim Vito beträgt unser Serviceintervall 40.000 km. Um diese Strecke ohne Nachtanken überbrücken zu können, würden wir einen AdBlue-Tank von circa 50 Liter Fassungsvermögen benötigen. Einen Tank dieser Größe wollten wir aus Gewichts- und Platzgründen nicht in das Fahrzeug integrieren, denn gerade bei gewerblichen Kunden spielen maximale Nutzlast und Ladevolumen eine gewichtige Rolle.
Beim Sprinter beträgt der Wartungszyklus bis zu 60.000 km. Somit ist das Mitführen der dafür benötigten AdBlue-Menge ebenfalls nicht wirtschaftlich: Ein Sprinter mit Euro VI hat einen durchschnittlichen AdBlue-Verbrauch von circa dreiLitern auf 1.000km. Dies würde bei einer Laufleistung von 60.000 km ein AdBlue-Tankvolumen von circa 180 Litern bedeuten. Wir gehen davon aus, dass AdBlue mit der sukzessiven Einführung von Euro 6 europaweit flächendeckend zur Verfügung stehen wird. Bei den Lkw ist dies seit Jahren gelebte Praxis.

8. Mit welchem Mehrgewicht, also Nutzlasteinbußen muss man beim Sprinter und beim Vito rechnen? Konnte das kompensiert werden?
Beim Sprinter beträgt das Mehrgewicht durch die Euro 6/VI-Komponenten inklusive gefülltem AdBlue-Tank (mit 18 Liter Fassungsvermögen) rund 30 kg. Der Vito wird standardmäßig mit einem 11,5 Liter fassenden AdBlue-Tank ausgeliefert, in diesem Falle wiegt das befüllte Gesamtsystem rund 18 kg, bei Auslieferung mit der Sonderausstattung des 25-Liter-AdBlue-Tanks ist mit circa 33 kg Mehrgewicht für alle SCR-Komponenten zu rechnen.
9. Euro 6 ist für Sie als Hersteller fast schon abgehakt. Was erwarten Sie als nächste Schritte und wie kann man ein mögliches Szenario „Euro 6 CO2-optimiert“ erfüllen?
CO2-Emissionen hängen nicht nur von der Abgasstufe ab. In der Emissionsgesetzgebung, aus der Euro 6 hervorgeht, sind auch keine Grenzwerte für CO2 vorgegeben. CO2 hängt von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel dem Einsatzfeld, der Laufleistung, dem Betrieb und nicht zuletzt natürlich auch vom Fahrer. Mercedes-Benz Vans gilt heute in Sachen Verbrauch und Erfüllung der Abgasnormen als wegweisend. Trotzdem müssen wir darauf hinweisen, dass eine weitere Verschärfung der Vorgaben durch den Gesetzgeber nur durch die Einführung neuer Motoren- und Abgasnachbehandlungstechnologien entgegnet werden kann. Dies wird aber einen massiven Effekt auf die Transportkosten haben, denn kostenneutrale Technologien sind schon längst im Fahrzeug verbaut.
10. Mit der Euro-6-Norm hätte ein Erdgasantrieb keine Probleme: Wäre das nicht auch eine Lösung für den Vito?
Ein Erdgasantrieb erfüllt die Euro-6-Werte auch nicht automatisch, sondern hier sind ebenfalls und vergleichbar mit einem Ottomotor Maßnahmen zur Abgasnachbehandlung wie zum Beispiel mit einem geregelten Dreiwege-Katalysator erforderlich. Für die Sprinter-Baureihe bieten wir eine CNG-Variante (siehe Marktübersicht) an, welche die Euro-6/VI-Norm einhält. Für den Vito sehen wir allerdings im Moment seitens der Kunden keine Nachfrage nach einem Erdgasantrieb.

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