ICCT-Bericht: 15% mehr Verbrauch als angegeben - neuer Prüfzyklus für leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen: Normverbrauch: Mit neuem Messverfahren näher an die Realität

Laborbedingungen: Zyklus-Prüfstand des TÜV Hessen im TUZ Pfungstadt | Bild: TÜV Hessen
Laborbedingungen: Zyklus-Prüfstand des TÜV Hessen im TUZ Pfungstadt | Bild: TÜV Hessen
Johannes Reichel

Verbrauchsangaben aus dem Verkaufsprospekt weichen oft weit von den Realverbräuchen ab. Das soll sich ändern mit einem neuen, weltweiten und realitätsnäheren Prüfzyklus, der auch für leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen gelten würde.
Hilfe, mein Transporter trinkt! Falls Sie sich das auch schon mal gedacht haben in Verwunderung über die große Kluft zwischen versprochenem und realem Verbrauch: Es gibt eine Erklärung. 15 Prozent mehr sind eher die Regel als die Ausnahme, wie der ICCT International Council on Clean Transportation erst vor Kurzem bestätigte: „Unterschied zwischen offiziellem und realem Kraftstoffverbrauch erreicht neuen Höchstwert.“ Noch vor zwei Jahren lag die durchschnittliche Abweichung des Realverbrauchs bei 25 Prozent. Heute sind es bereits 31 Prozent für Privatfahrzeuge und mehr als 40 Prozent für Firmenfahrzeuge, vermeldete das ICCT.
Diese Lücke könnte sich bald schließen – ein bisschen zumindest. Denn Grund für die oft unrealistischen Normverbrauchsangaben der Hersteller ist der Prüfprozess, der diesen Werten zugrunde liegt. Der sogenannte Neue Europäische Fahrzyklus, kurz NEFZ, bildet dabei eine feste Routine, die jedes Fahrzeug durchlaufen muss. Die hat allerdings nicht viel mit dem echten Leben auf der Straße zu tun.
Das soll ab 2017 ein neuer Test besser abbilden: der WLTP-Zyklus (Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Proce­dure), dem auch die Leichten Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht unterliegen (sogenannte LNF). Auf den Standard haben sich neben den europäischen Staaten (EU 28) einschließlich der Türkei auch Australien, China, Indien, Südkorea und Südafrika geeinigt, um weltweit zu besserer und realitätsnäherer Vergleichbarkeit zu kommen.
Denn das größte Problem des nur 20 Minuten kurzen NEFZ ist: der hohe Anteil von Konstantfahrt (40 Prozent) bei geringem Anteil an Beschleunigungsfahrt (21 Prozent) sowie fast einem Drittel Stillstand (27 Prozent). Außerdem wurde als Höchstgeschwindigkeit 120 km/h für 400 Sekunden gefahren und die Temperaturen auf dem Prüfstand durften 30 Grad Celsius betragen. Letzteres war gerade für Diesel ein Vorteil, denn die modernen Abgasreinigungen brauchen Temperatur, um nach dem Kaltstart in Schwung zu kommen und je kühler, desto mehr muss mit Kraftstoff nachgeholfen werden. Der NEFZ bildete somit einen primär städtischen Zyklus ab.
Beim neuen WLTP, an den sich auch die überwiegende Zahl der Transporter – 75 Prozent des gesamten Nutzfahrzeugbestandes in der EU liegen unterhalb von 3,5 Tonnen – wird halten müssen, läuft es anders. Gemessen wird künftig in vier Phasen: bis 60, bis 80, bis 100 und über 130 km/h. So sollen Stadtverkehr, Über­land- sowie Autobahnfahrten simuliert werden. Damit ist auch die Durchschnittsgeschwindigkeit höher: Sie liegt jetzt bei 47km/h statt 33,4 km/h. Der WLTP-Test geht über 23 statt nur elf Kilometer, die Fahrzeit wurde um zehn auf 30 Minuten erhöht, die Stillstandszeiten liegen niedriger, wodurch sich etwa Start-Stopp-Systeme nicht mehr so stark auswirken. Außerdem sind die getesteten Wagen nicht mehr wie bisher gewichts­optimiert – es handelt sich um Modelle mit üblichen Standards an Bord, wie etwa eine Klimaanlage. Und die ist nach dem WLTP auch eingeschaltet. In der Prüfmasse werden also auch Zusatz- und Sonderausstattungen berücksichtigt. Der Tank ist statt zu 40 Prozent nun zu 50 Prozent gefüllt. Bei LNF werden zudem jetzt 28 Prozent der maximalen Zuladung ausgenutzt. Insgesamt lässt der neue Zyklus durch detailliertere Regelung weniger Schlupflöcher für die Hersteller als der NEFZ.
Fachleute erwarteten folglich, dass die Verbräuche im WLTP bis zu 25 Prozent höher liegen als beim alten Verfahren. Eine Beispielrechnung aus einem vorab aufgetauchten EU-Dokument führt für einen beispielhaften Hersteller im Jahr 2021 eine Erhöhung des CO2-Flottengrenzwerts von 95 g/km im NEFZ auf bis zu 124 g/km im WLTP auf. Dies entspräche einem Aufschlag von fast einem Drittel der dann zulässigen Gesamtemissionen eines Fahrzeugs und käme einer Rückabwicklung sämtlicher, bisher durch die Grenzwertgesetzgebung erzielten Emissionsminderungen gleich, wie ein Papier des BUND und alternativen Verkehrsclubs VCD aufführt.
Genau das ist auch die Befürchtung des VDA, der daher eindringlich warnt: „Das gleiche Fahrzeug wird im WLTP mehr verbrauchen als im NEFZ. Die Einführung des WLTP darf nicht zu einer Verschärfung der CO2-Gesetzgebung führen.“ Kompromissvorschlag des VDA: Das CO2-Monitoring solle auf Basis des NEFZ belassen werden, der WLTP aber soll in einem ersten Schritt für die Verbraucherinformation und das Labeling eingeführt werden. Außerdem verlangt der VDA eine Umrechnung nach genanntem Multiplikator.
Erste Tests geben Entwarnung
Doch vielleicht sind all die Befürchtungen grundlos: Eine Analyse des ICCT sowie erste Messungen des ADAC kommen zum Ergebnis, dass die CO2-Emissionen nach WLTP im Mittel nur in geringem Umfang von den NEFZ-Werten abweichen. Je nach Fahrzeugkonzept führt der WLTP mal zu höheren CO2-Werten, aber auch mal zu niedrigeren.
Ähnlich das Ergebnis eines Ver­gleichstests NEFZ versus WLTP, den der TÜV Süd vor Kurzem durchgeführt hat, hier zwar mit einem Pkw Mercedes C-Klasse Limousine. Erstaunliches Resultat: Der C180 CDI benötigte einen halben Liter weniger Sprit im WLTP-Zyklus als im alten NEFZ-Verfahren. Beim ebenfalls getesteten Benziner blieb der Verbrauch annähernd gleich. Die Befürchtungen der Industrie und des VDA, durch den neuen Zyklus bei der Erreichung der vorgeschriebenen Flottenemissionen benachteiligt zu werden, hätten sich demnach nicht bestätigt.
Pascal Mast, der beim TÜV Süd das Abgas-Labornetzwerk leitet, sieht generell Fahrzeuge mit größeren Motoren im Vorteil. Große Triebwerke benötigten länger als kleine, um die optimale Be­triebstemperatur zu erreichen; somit sei die Verlängerung der Fahrzeit im WLTP für sie ein Gewinn gegenüber dem NEFZ – ihre Verbrauchswerte dürften sich in Relation zu denen kleinerer Motoren verbessern.
Außerdem profitierten die größeren Motoren von den höheren Volllastanteilen im WLTP. Kleine Turbomotoren mögen Vollgas weniger, höheren Temperaturen in der Brennkammer muss mit Kühlung per Kraftstoff gegengesteuert werden. Die neuen Messbedingungen führen hier so tendenziell zu höheren Verbrauchswerten. Ob sich daher der Trend zu kleineren Motoren umkehrt, darf allerdings bezweifelt werden. Ohnehin sollten speziell bei Nutzfahrzeugen Vollgasfahrten schon aus ökonomischen Gründen tabu sein.
Auch nach unseren eigenen Test­erkenntnissen liegen die Werte zwischen Norm- und Testverbrauch je nach Hersteller mal mehr, mal weniger weit auseinander. Marken wie VWN oder Daimler fahren hier einen relativ „ehrlichen“ Kurs, auch um zu vermeiden, dass enttäuschte Kunden beim Händler „auf der Matte stehen“ und auf die schönen, aber illusorischen Prospektwerte verweisen. Andere gehen schon mal etwas zu vollmundig in die Werbung, um neue Kunden zu locken. Klar sei aber, dass man sich mit dieser ehrlichen Linie Nachteile beim „CO2-Flottenranking“ einhandle, gibt ein hoher Manager unter der Hand zu.
NEFZ oder WLTP: Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis der reellere Zyklus in Deutschland Realität wird: Neben dem VDA steht auch die Bundesregierung eher auf der Bremse …
Unterm Strich muss es aber das Ziel bleiben, tatsächlichen Verbrauch und Normverbrauch in Einklang zu bringen. Damit der Kunde nicht mehr denkt, sein Transporter sei ein Trinker. Und damit der Klimaschutz nicht nur unter der künstlichen Atmosphäre eines Prüflabors stattfindet, sondern in der realen Atmosphäre ankommt.

◂ Heft-Navigation ▸

Artikel ICCT-Bericht: 15% mehr Verbrauch als angegeben - neuer Prüfzyklus für leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen: Normverbrauch: Mit neuem Messverfahren näher an die Realität
Seite | Rubrik